Hintergrundinfo

Stimmen von Sans – Papiers

Härtefallgesuch

Das Gesuch um eine humanitäre Aufenthaltsbewilligung ist für viele Sans-Papiers die letzte Hoffnung auf ein Bleiberecht in der Schweiz.

Die strukturellen Hürden und Bedingungen, damit das Gesuch gutgeheissen wird, sind jedoch sehr hoch. Ein Härtefallgesuch wird frühestens nach fünfjähriger Aufenthaltsdauer geprüft, doch selbst nach 10 – 15 Jahren Aufenthalt in der Schweiz erhalten viele Betroffene eine Ablehnung des Gesuchs. Ein Härtefallgesuch kann mehrfach gestellt werden.

Die Praxis wird je nach Kanton, Migrationsamt und zuständiger Personen sehr unterschiedlich und willkürlich umgesetzt. Im Kanton St. Gallen wurden im Jahr 2023 insgesamt 17 Gesuche gutgeheissen.

Warten

Menschen ohne regulären Aufenthalt leben mitten in unserer Gesellschaft mit der ständigen Angst von der Polizei oder der Migrationsbehörde entdeckt und ausgewiesen zu werden. Daher fordern sie ihre Rechte selten ein – auch wenn sie diese kennen. Selbst Grundrechte von Sans – Papiers sind vielfach beeinträchtig oder nicht gewährleistet. Dies führt dazu, dass ihnen im Alltag  zu vielen alltäglichen Aktivitäten der Zugang verwehrt bleibt, sie diese nicht selbständig ausführen können oder aus Angst vermeiden.

Um nur einige Beispiel zu nennen: Sans – Papiers können keine Verträge abschliessen. Dies muss über Drittpersonen geschehen, was grosse Abhängigkeitsverhältnisse schafft und die Betroffenen vulnerabel macht.

Aufgrund möglicher Kontrollen ist es sehr riskant, sich in öffentlichem Raum aufzuhalten, an soziokulturellen Anlässen teilzunehmen oder Kontakte zu knüpfen. Viele Sans – Papiers ziehen sich zurück oder isolieren sich, obwohl der Aufbau eines sozialen Netzwerkes sehr wichtig ist.

Nicht zuletzt fehlt es auch an den finanziellen Möglichkeiten. Ihre Löhne sind meistens unter dem Minimum und es besteht nur ein eingeschränkter Zugang zu staatlichen Sozialleistungen.

Das führt zu Gefühlen des Wartens, Abwartens und der Ohnmacht.

Wegweisungsvollzug

Die Gruppe der Sans-Papiers setzt sich zu 80% aus Menschen zusammen, die unregistriert in die Schweiz migriert sind oder ihre Aufenthaltsbewilligung verloren haben (z.B. nach einer Scheidung, Sozialhilfebezug, Gesetzesänderung, Saisonierstatus aufgehoben) und 20% aus Menschen, die einen negativen Asylentscheid erhalten haben aber nicht in ihr Herkunftsland zurückgeführt werden können (z.B. fehlende Abkommen mit dem Herkunftsland und der Schweiz, fehlende Papiere), zusammen.

Nach einem negativen Asylentscheid oder wenn die Polizei anderweitig vom illegalen Aufenthalt in der Schweiz erfährt, müssen die Sans-Papiers die Schweiz verlassen. Die Ausreise kann, gemäss Gesetz, zwangsweise durch die Behörden durchgesetzt werden. Zur Sicherstellung der Ausreise können Menschen ohne regulärem Aufenthalt in Haft genommen werden. Das Ausländergesetz erlaubt es den Behörden, Personen ohne Aufenthaltsbewilligung oder abgewiesene Asylsuchende bis zu 18 Monate in Haft zu nehmen. Die nationale Kommission zu Verhütung von Folter hat die Haftbedingungen und massiven Eingriff des Freiheitsentzugs wiederholt kritisiert.

Rechte auf Rechte

Die rechtliche Situation von Menschen ohne geregelten Aufenthalt ist sehr komplex, teilweise widersprüchlich und schwer zu verstehen. Die im Völkerrecht, in internationalen Konventionen und der Schweizerischen Bundesverfassung verankerten Menschen- und Grundrechte gelten für alle Menschen, die sich in der Schweiz aufhalten.

Demzufolge haben Sans-Papiers in der Schweiz Rechte, worauf sie sich stützen können, um entsprechende Ansprüche geltend zu machen. Die Einforderung ihrer Rechte ist für Sans-Papiers jedoch mit grossen Risiken verbunden.

Lebensalltag & Familie

Die Zahl von Kindern und Jugendlichen ist sehr schwer zu schätzen. Es wird davon ausgegangen, dass ca.12% der Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus minderjährig sind. Je nach Schätzung betrifft das schweizweit somit etwa 10‘000 Kinder und Jugendliche.

In der gesamten Schweiz haben Kinder, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, das Recht auf Grundschulunterricht. Bei der Einschulung von Kindern gilt es jedoch viele Themen zu beachten. Der Zugang von Sans-Papiers Kindern und Jugendlichen zu weitergehenden Schulen und Ausbildungen (Lehre, Gymnasium, etc.) ist ebenfalls erschwert, respektive nicht immer gewährleistet.

Netzwerke & Solidarität

Sans-Papiers stehen vor großen Herausforderungen beim Knüpfen sozialer Kontakte und dem Aufbau stabiler Beziehungen.  Angst vor Entdeckung und eingeschränkte Teilhabe prägen oft ihren Alltag, während Isolation und psychischer Stress ihre Situation zusätzlich belasten.

Viele meiden soziale Interaktionen aus Furcht vor Abschiebung. Ohne die Möglichkeit, sich ausweisen zu können, bleibt ihnen der Zugang zu Vereinen, Bildungseinrichtungen und öffentlichen Treffpunkten oft verwehrt. Prekäre Arbeitsverhältnisse und lange Arbeitszeiten erschweren es, Freundschaften aufzubauen.

Das Leben als Sans-Papiers ist ein Balanceakt zwischen dem Wunsch nach Nähe und der Notwendigkeit von Vorsicht. Trotz zahlreicher Hindernisse finden viele Wege, sich zu vernetzen und ein Stück Normalität zu bewahren.